Nant de Drance & BG: Ein Projekt voller Superlativen (Teil 2/3)

Der Bau von Wasserkraftanlagen im Hochgebirge stellt eine besonders anspruchsvolle Herausforderung für Ingenieure, Bauunternehmer und Arbeitskräfte dar. Das Pumpspeicherkraft­werk Nant de Drance in den Walliser Alpen ist ein eindrückliches Beispiel dafür.

Wenige Tage bevor die Öffentlichkeit die Anlage bei den Tagen der offenen Tür am 10. und 11. September 2022 erkunden wird, stellt BG dieses aussergewöhnliche Bauwerk, das zur Zukunft des Energiesystems beitragen wird, in einer dreiteiligen Artikelserie vor. Die BG Gruppe wurde mit Mandaten in den Bereichen Bauingenieurwesen (Teil 1), Belüftung in den Kavernen und Galerien (Teil 2) und Gebäudetechnik (Teil 3) betraut und hat die jeweiligen Projektingenieure gebeten, die Arbeiten ihrer Teams zu schildern.

2/3 BELÜFTUNG - Ein Gespräch mit Stéphane Lévy, Maschinenbauingenieur und Spezialist für Energie und Strömungsmechanik

Wie lautete Ihr Auftrag im Bereich Belüftung des Nant de Drance-Komplexes?
Stéphane Lévy: Obwohl der Wasserkreislauf als aktiver Energieträger (Pumpen oder Turbinieren) die Hauptachse dieses Wasserkraftwerks darstellt, ist auch die Luft ein wichtiges Fluid für den reibungslosen Betrieb des Kraftwerks und die Sicherheit der Personen. Unser Auftrag bestand darin, die für die Anwesenheit von Menschen erforderliche Luftqualität und -quantität zu gewährleisten, die Temperatur und Feuchtigkeit für die elektrischen Geräte zu regulieren und die Rauchabfuhr in Brandsituationen zu ermöglichen. Dies alles in einem komplexen Netzwerk von Galerien und Höhlen mit beträchtlichen Ausmassen.

Welche Rolle spielt die Belüftung in einem so komplexen Projekt, das vielen Einschränkungen unterliegt?
Stéphane Lévy: Angesichts der geografischen Lage des Bauwerks und der begrenzten Anzahl von Verbindungen nach aussen spielt die Belüftung eine entscheidende Rolle für die Sicherheit der Menschen und die Aufrechterhaltung angemessener Umgebungsbedingungen. Bei BG haben wir alles dafür getan, dass dem Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance sozusagen nie die Luft ausgeht (lacht).

Welchen Ansatz haben Sie gewählt, um die Belüftung der Galerien zu gewährleisten?
Stéphane Lévy: Das Systemkonzept, das dank unserem Know-how in der Tunnellüftung realisiert werden konnte, ermöglicht die zuverlässige Luftzirkulation in den Haupt- und Nebenstollen und sorgt gleichzeitig für eine effiziente Energienutzung. Die von den Turbinen erzeugte Energie soll ja nicht für den Betrieb der Anlage verbraucht werden, sondern ins Netz eingespeist werden! (lacht).

Konkret beginnt der Luftkreislauf am tiefsten Punkt des Kraftwerks: Die Luft wird durch das Talportal (Châtelard) angesaugt und zirkuliert in den Hauptstollen in Richtung Bergportal – über eine Strecke von 9,6 km ohne Verbindung zur Aussenwelt. Die Luftbewegung wird durch zwei Ventilatoren mit einem Durchmesser von 2 m generiert, die sich in der Nähe des Oberportals (Vieux Emosson) befinden. Ein Ventilator ist ständig in Betrieb, der andere wird als Redundanz oder für den Rauchabzug im Entrauchungsmodus verwendet.

Wie stand es um die Belüftung der Kavernen?
Stéphane Lévy: Die Hauptkavernen liegen an der Biegung einer Erweiterung, nach 5,5 km Stollen. Der regelmässige Luftstrom im Stollen wird aufgefangen und in Richtung der Maschinen- und Transformatorenkavernen geleitet. Dort wird sie gekühlt und entfeuchtet, bevor sie über ein anspruchsvolles Kanalnetz in die 400 Räume der Kavernen verteilt wird. Insgesamt werden 21 zentrale Luftaufbereitungsanlagen und über 6000 m Luftkanäle eingesetzt, um die erforderlichen Luftströme in den Räumen zu gewährleisten.

Da jeder Raum eigene Anforderungen an den Luftaustausch (Verdünnung von Staub, explosiven/toxischen Dämpfen) oder die zulässigen Temperaturen stellt, war eine individuelle Dimensionierung durch BG erforderlich. Diese Entwicklung wurde in direkter Abstimmung mit den anderen am Projekt beteiligten Spezialisten durchgeführt, insbesondere mit dem Bauingenieurwesen im Bereich der Durchbrüche.

Und wie wurde das Thermomanagement gelöst?
Stéphane Lévy: Tatsächlich kann es aufgrund der hohen elektrischen Leistung, die durch das Kraftwerk fliesst (900 MW), in bestimmten Räumen zu einer erheblichen Wärmeabstrahlung kommen. Daher wird ein zusätzliches Kühlsystem eingesetzt. Dieses entspringt dem hydraulischen Hauptnetz des Kraftwerks – den Druckleitungen –, um dessen begrenzte Temperatur (ca. 4°C) zu nutzen. Er versorgt einen Wärmetauscher mit einer Leistung von 1.750 kW, der über Klimaanlagen und Kühlschränke die Kälteverteilung in den benötigten Räumen übernehmen kann.

Das Kraftwerk läuft das ganze Jahr über – welche Massnahmen sind für den Winter vorgesehen?
Stéphane Lévy: Aufgrund der eisigen Temperaturen, die in dieser alpinen Umgebung herrschen (-17 °C), besteht die Gefahr, dass die Fahrbahn gefriert, was die Zugangsbedingungen zum Châtelard-Portal verschlechtern könnte. Daher musste eine Heizung vorgesehen werden. Das von BG entwickelte Konzept verbindet Ökologie mit erheblichen Einsparungen, da anstelle einer Strom- oder Ölanlage das vom Bergmassiv abfliessende Wasser genutzt wird. Das Wasser wird hochgepumpt und in einen Wärmetauscher mit einer thermischen Leistung von 2’000 kW eingespeist, der so die durchströmende Luft vorwärmen kann.

Wie sieht es mit der Rauchentwicklung aus, insbesondere im Falle eines Brandes?
Stéphane Lévy: Da das Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance vollständig unterirdisch liegt, ist die Rauchentwicklung im Brandfall von entscheidender Bedeutung, um die Sicherheit der vor Ort anwesenden Personen zu gewährleisten und Schäden an der Ausrüstung zu begrenzen. Es versteht sich von selbst, dass die Sicherheit der Menschen an erster Stelle steht. Die Entfernungen, die zurückgelegt werden müssen, um sich in Sicherheit zu bringen, entsprechen dem Ausmass dieses Mammutprojekts: deshalb gibt es zwei Überlebensräume, in denen sich die anwesenden Personen in Sicherheit bringen und auf Hilfe warten können.

Aus naheliegenden wirtschaftlichen Gründen und um die Netzstabilität zu gewährleisten, muss die Produktion so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden können. Stollenbrände werden deshalb von der eigens dafür vorgesehenen Lüftung gesteuert, deren Entrauchungsmodus durch den vollen Einsatz beider Ventilatoren aktiviert werden kann. In einer solchen Situation werden die Kavernen vom Rest der Stollen isoliert, so dass der Betrieb des Kraftwerks fortgesetzt werden kann.

Ähnlich wie in einem Gebäude würde ein Brand im Raum einer Kaverne zur Bildung eines Brandabschnitts führen. Deshalb wurden spezielle Systeme eingerichtet, wie z. B. Löschgas-Anlagen oder Druckerhöhung in den Treppenhäusern. Es wurde ebenfalls ein eigener Rauchabzug für den Maschinenraum entwickelt, der gemeinsam mit der Tunnelbelüftung genutzt wird und mithilfe von digitalen 3D-Brandsimulationen überprüft wurde.

Welches ist das Wertversprechen von BG?
Stéphane Lévy: Der Betriebshorizont des Kraftwerks Nant de Drance verlangte von uns ein optimales Management der Energieressourcen. BG hat deshalb Lösungen umgesetzt, die langfristig erhebliche Einsparungen ermöglichen: Begrenzung der Leistung der Ventilatoren, Nutzung des Wassers aus dem Bergmassiv zur Vorwärmung der Luft am Portal und Kühlung der elektrischen Anlagen mit Wasser aus dem Emosson-See.

 

 

Wir danken Nant de Drance AG sehr herzlich und sind stolz, unsere multidisziplinäre Expertise in ein Schlüsselprojekt für die Stabilität des europäischen Stromnetzes und die Energiewende eingebracht zu haben. Wir freuen uns heute schon auf die Fortsetzung unserer Zusammenarbeit in der Betriebsphase.

Die Nant de Drance AG wurde für die Verwaltung des Bauwerks gegründet. Vier Unternehmen sind an dieser neuen Einheit beteiligt: Alpiq mit 39%, SBB mit 36%, IWB mit 15% und FMV mit 10%. Weiterführende Informationen : www.nant-de-drance.ch

Identitätskarte einer aussergewöhnlichen Baustelle

Nach dem Bau von drei aufeinanderfolgenden Staudämmen (Barberine 1925, Vieux-Emosson 1955 und Emosson 1975) über einen Zeitraum von 50 Jahren stellt die Inbetriebnahme des Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance am 1. Juli 2022 die vierte und letzte Etappe eines für die Stabilisierung des schweizerischen und europäischen Stromnetzes wichtigen Glieds dar. Mit 900 MW und einer Produktion von rund 2,5 Milliarden Kilowattstunden Spitzenenergie pro Jahr (oder 2’500 GWh) ist die neue Anlage eine der leistungsstärksten in Europa. Sie wird eine zentrale Rolle bei der Sicherung der Stromversorgung in der Schweiz spielen.

14 Jahre Bauzeit (2008 – 2022)

Das vollständig unterirdische Pumpspeicherkraftwerk befindet sich an der französisch-schweizerischen Grenze im Massiv der Aiguilles Rouges de Chamonix, auf dem Gebiet der Gemeinde Finhaut (VS) auf halbem Weg zwischen Martigny (CH) und Chamonix (F). Es nutzt den Höhenunterschied zwischen zwei Stauseen, den Lac du Vieux Emosson und den Lac d’Emosson. Das Kraftwerk funktioniert wie folgt: Auf dem Hinweg wird das Wasser aus dem oberen See, das durch einen Staudamm zurückgehalten wird, in das unterirdisches Nant de Drance-Kraftwerk geleitet, bevor es in den unteren See getrieben wird. Auf dem Rückweg pumpt die Anlage das Wasser und befördert es in umgekehrter Richtung zurück in das obere Reservoir.

Der Bau des Pumpspeicherkraftwerks, eine Baustelle der Superlative in alpinem Umfeld, beeindruckt durch seine Kenndaten: 17 km gelegte Stollen, 1,7 Millionen m3 ausgehobener Fels, bis zu 400 Arbeitskräfte und rund 60 Unternehmen vor Ort und eine Investition von über 2 Milliarden Franken.

Die Hauptkaverne von Nant de Drance, die Maschinenkaverne, besitzt ein Aushubvolumen von 270 000 m3, ist 52 m hoch, 32 m breit und 200 m lang, und liegt 600 Meter unter der Erde. Damit ist sie eine der grössten in der Welt.

Die turbinierte Wassermenge beträgt 360 m3 pro Sekunde, also in etwa die Durchflussmenge der Rhône bei Genf im Sommer. Der Damm des oberen Reservoirs musste um 21,5 Meter erhöht werden, um 25 Millionen m3 Wasser zu stauen. Dies entspricht einer Energiespeicherkapazität von 20 Gigawattstunden (GWh) (oder: 20 Millionen kWh), was der Menge entspricht, die 400.000 Elektroautos in ihren Batterien speichern würden. Das Kraftwerk wird 900.000 Haushalte mit Strom versorgen.

Eine gigantische Batterie

Nant de Drance wurde so konzipiert, dass es die mit der unregelmässigen Produktion erneuerbarer Energien wie Windkraft und Photovoltaik verbundenen Schwankungen auszugleichen kann. Eine solche Flexibilität ist notwendig, um jederzeit ein Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch aufrechtzuerhalten. Nant de Drance fungiert als gigantische Batterie, die auch kurzfristig überschüssigen Strom aus dem Netz speichert oder notwendige Energie produziert, wenn die Nachfrage höher ist als die Produktion.

Ausgleich der Umweltauswirkungen einer Baustelle in grosser Höhe

Um die Umweltauswirkungen der Bauarbeiten für das Kraftwerk und die Höchstspannungsleitung, die das Kraftwerk mit dem Stromnetz verbindet, zu kompensieren, sollen 14 Projekte mit Gesamtkosten von 22 Millionen Franken durchgeführt werden. Die meisten Massnahmen zielen darauf ab, lokal spezifische Biotope, insbesondere Feuchtgebiete, wiederherzustellen. Dadurch sollen diese Orte von Tier- und Pflanzenarten wiederbesiedelt werden, die in der Schweiz selten vorkommen oder vom Aussterben bedroht sind.

Artikelreihe:

Artikel 1/3 (Bauingenieurwesen)
Artikel 3/3 (Gebäudetechnik) wird in den nächsten Tagen auf unserer Website veröffentlicht.