Eine gigantische Infrastruktur im Wandel

Am 12. August 2021 begann der Rückbau der Tamoil-Raffinerie in Collombey-Muraz im Walli-ser Chablais. Nach dem Abbau gegen Ende 2024 wird das Gelände wieder für leichtere Industrie-tätigkeiten und deutlich umweltschonender genutzt werden. In diesem Zusammenhang überwacht BG den gesamten Rückbau der Anlage unter Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen. Die Tamoil-Direktoren Stéphane Trachsler und Pier Luigi Colombo erklären, was damit verbunden ist.

Wie und warum haben Sie beschlossen, die Raffinerie abzubauen?

Stéphane Trachsler: 2015 beschloss der Aktionär von Tamoil, die Raffinationstätigkeit aus wirtschaftlichen Gründen einzustellen. In der Folge gaben uns die Behörden fünf Jahre Zeit, um die Situation zu beurteilen und einen Käufer oder einen neuen Betreiber zu finden. Wir waren mit mehr als fünfzig interessierten Unternehmen im Gespräch, aber leider letztendlich ohne konkretes Ergebnis. Die deutsche Firma Aiotec GmbH bot uns schliesslich an, die Einheiten aufzukaufen. Sie übernimmt zunächst den Abbau der Produktionsanlagen, die seit ihrer Stilllegung systematisch kontrolliert und gewartet wurden, damit sie wieder einsatzbereit sind, und anschliessend ihren Weiterverkauf an ihre eigenen Kunden. Die Firma E. Flückiger AG aus Rothrist ist ihrerseits zuständig für die Entsorgung der Tanks.

Welche Besonderheiten zeichnen dieses Rückbau-projekt aus?

Pier Luigi Colombo: Seit 2010 wurden in Europa rund fünfzehn Erdölraffinerien stillgelegt. Die Raffinerie von Collombey ist eine der wenigen, die mit dem Ziel zerlegt wird, an einem anderen Standort wieder aufgebaut zu werden. Der Rückbau erfolgt in drei Etappen: Zunächst die Demontage der 54 Tanks, dann parallel dazu die Zerlegung der Produktionseinheiten, bestehend aus 90 km Rohrleitungen und 30 000 Tonnen Stahl. Zum Schluss werden die Gebäude und die Kamine abgerissen. Die Sanierung des Geländes soll spätestens 2028 abgeschlossen sein. Das Projekt ist äusserst komplex, weil der Standort unzählige Anlagen und Einzelteile aufweist, die man sorgfältig erfassen und anschliessend an den richtigen Ort bringen muss.

Wie bewältigen Sie diese Komplexität?

Pier Luigi Colombo: Die Käuferin, Aiotec GmbH, hat ein BIM-Modell (Building Information Modeling) erstellt, mit dem sie jeden einzelnen Bestandteil der Anlage erfassen kann. Das Ganze dauerte zwei Monate. Sie wies jeder Komponente und jedem Instrument einen QR-Code zu, damit sie zugeordnet werden können. Ein Riesenprojekt: Es sind mindestens 100 000 Codes.

Wo liegen die gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen? Wie gehen Sie damit um?

Stéphane Trachsler: Wir haben unsere gesellschaftliche und ökologische Verantwortung stets wahrgenommen. Nach der Stilllegung der Raffinerie nahmen wir eine ausführliche Bodenanalyse vor. Sie ergab, dass nur ein sehr kleiner Teil des Geländes – weniger als 2 % – sanierungsbedürftig ist. Dies zeigt, dass wir uns an die gute Industriepraxis im Zusammenhang mit Mineralöl gehalten haben. Angesichts des langjährigen Betriebs sind die Schäden gering. Ende 2016 erklärten die eidgenössischen Behörden den Standort für nicht mehr gefährlich und konform mit der Schweizer Störfallverordnung (StFV).

Pier Luigi Colombo: Bei Einstellung des Raffineriebetriebs haben wir ausserdem mit den Gewerkschaften und den Personalvertretern einen guten Sozialplan ausgehandelt. Unsere Mitarbeitenden waren hochqualifiziert und bildeten sich regelmässig weiter. 80 % von ihnen fanden daher schnell eine neue Stelle.

Worin besteht die Rolle von BG in diesem Zusammenhang?

Pier Luigi Colombo: BG beaufsichtigt die Baustelle im Hinblick auf die Verfahren, die Organisation und die Einhaltung der Vorschriften. Zusätzlich zu den spezifischen Kontrollen, die die Bauherrschaft – Aiotec und Flückiger – selbst durchführen, muss BG überdies sicherstellen, dass die beiden Firmen sämtliche gesetzlichen Bestimmungen einhalten. Konkret besteht die Arbeit von BG darin, die Dokumente und die Ausführung der Arbeiten stichprobenweise zu kontrollieren.

Stéphane Trachsler: Sicherheit und Umweltschutz sind uns sehr wichtig. Die Behörden verlangten eine Umweltkontrolle des Rückbaus, um das Risiko niedrig zu halten. Wir haben diese Aufgabe BG übertragen, da die Firma seit 2009 mehrere Mandate für die Raffinerie durchgeführt hat und mit der Anlage vertraut ist. Die Professionalität und die Unabhängigkeit der Ingenieurinnen und Ingenieure von BG schätzen wir sehr.

Umfasst das Projekt eine spezifisch nachhaltige und/oder innovative Dimension? Was passiert mit dem Gelände nach der Sanierung?

Stéphane Trachsler: Wir haben einen Fahrplan erstellt, ausgehend von der Idee, dass bei der Sanierung des Standorts die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt stehen soll. Ein Planungsbüro wurde damit beauftragt, ein Gewerbegebiet mit einem angenehmen Arbeitsumfeld zu entwerfen. Es soll leicht zugänglich sein und eine koordinierte Entwicklung der einzelnen Wirtschaftszweige ermöglichen. Die Zone soll zudem naturnahe Bereiche umfassen, in denen die Menschen sich erholen und Sport treiben können. Der neue Standort wird zukunftsorientiert und nicht mehr der Schwerindustrie, sondern eher leichteren Industrietätigkeiten gewidmet sein. In Collombey entsteht auch ein neuer Bahnhof, den wir in unsere Pläne für die zukünftige Belegschaft einbezogen haben. Die Entwicklung des Standorts erfolgt Hand in Hand mit der Gemeinde, zu der wir ausgezeichnete Beziehungen pflegen.

Pier Luigi Colombo: Wir verwandeln einen umweltschädlichen Ort in einen positiven, modernen und zukunftsgerichteten Standort. Somit schenken wir der Region ein zweites Leben.

Das Projekt wird von mehreren Frauen geleitet. Nimmt der Frauenanteil in den Ingenieurberufen zu?

Pier Luigi Colombo: Tatsächlich arbeiten mehrere Frauen an diesem Projekt, unter anderem bei BG – die Projektleiterin, mit der wir seit mehr als zehn Jahren zusammenarbeiten, ist eine Frau. Und schon bei Tamoil waren zahlreiche Ingenieurinnen tätig, die auch wesentliche technische Aufgaben übernahmen. Frauen verfügen über ein ausgeprägteres Gespür für die Umwelt als Männer. Sie haben mehr Vorstellungskraft, Kreativität und neue Ideen; das ist positiv. Sie bringen mehr Feingefühl in eine Welt von Männern, denen es daran manchmal fehlt.

(Artikel aus dem BG Magazine 2022, aktualisierte Version auf der Website)