Nant de Drance & BG: Ein Projekt voller Superlativen

Der Bau von Wasserkraftanlagen im Hochgebirge stellt eine besonders anspruchsvolle Herausforderung für Ingenieure, Bauunternehmer und Arbeitskräfte dar. Das Pumpspeicherkraft­werk Nant de Drance in den Walliser Alpen ist ein eindrückliches Beispiel dafür.

Wenige Tage bevor die Öffentlichkeit die Anlage bei den Tagen der offenen Tür am 10. und 11. September 2022 erkunden wird, stellt BG dieses aussergewöhnliche Bauwerk, das zur Zukunft des Energiesystems beitragen wird, in einer dreiteiligen Artikelserie vor. Die BG Gruppe wurde mit Mandaten in den Bereichen Bauingenieurwesen (Teil 1, siehe unten), Lüftung und Rauchabzug (Teil 2) und Gebäudetechnik (Teil 3) betraut und hat die jeweiligen Projektingenieure gebeten, die Arbeiten ihrer Teams zu schildern.

1/3 BAUINGENIEURWESEN - Ein Gespräch mit Patrick Heck, Bauingenieur und Geotechnik-Spezialist

Seit wann ist die BG-Gruppe Partner von Nant de Drance AG?
Patrick Heck: BG ist seit 2008 massgeblich an den Tiefbauarbeiten von Nant de Drance beteiligt. Die BG Gruppe erstellte die Ausschreibungsunterlagen und die Angebotsanalyse für die Leistungserweiterung der Kavernen, überprüfte die Vordimensionierung und unterstützte die geologischen Erkundungen und die Felsmechanik. BG war auch für das Ausführungsprojekt der Kavernen zuständig, was den Aushub, die Felssicherung und die Erstellung des Rohbaus betraf. Schliesslich war BG aktiv an der Bauleitung und der Befüllung der Wasserwege beteiligt.

Eines der markantesten Elemente ist die Hauptkaverne: Wie wurde sie geschaffen?
P.H.: Der Ausbruch der Hauptkaverne begann im August 2011 vom Kalotten-Zugangsstollen aus, mit einer Geschwindigkeit von 500 m3 pro Tag. Die Hauptkaverne wurde in 9 horizontalen und 11 vertikalen Etappen ausgehoben, wobei eine Felssicherung aus faserverstärktem Spritzbeton und Felsanker angebracht wurde. Die Kalotte wurde in 3 Phasen mit einem Versatz von 10 m zwischen den einzelnen Phasen ausgebrochen. Parallel dazu wurde das endgültige Gewölbe betoniert. Bis zur Fertigstellung der restlichen Kavernenstruktur wurde es provisorisch auf einem mit vorgespannten Ankern aufgehängten Stahlbeton-Längsträger abgestützt, an dem der Baustellenkran hing.​​​​​​​

Erzählen Sie uns von den Phasen des Ausbruchs und der Felssicherung.
P.H.: Ein Kernbeitrag von BG in dieser Projektphase war die Optimierung des Ausbruchs und der Felssicherung durch spezifische geologische Untersuchungen, die mit einer umfangreichen numerischen Analyse gekoppelt waren, und durch die Anwendung der Beobachtungsmethode während der Ausführung. Die Definition eines geeigneten Ausbruch-, Felssicherung- und Verkleidungskonzepts erforderte die Erstellung eines hochentwickelten Modells des Gebirgsverhaltens, das auf einer umfangreichen Untersuchungskampagne basierte. Auf dieser Grundlage wurden mithilfe eines dreidimensionalen Finite-Elemente-Modell und einer Analyse der instabilen Blöcke der Ausbau und die Verkleidung stark optimiert. Die Überwachung des Vortriebs (durch die Einrichtung von fünf mit optischen Vermessungszielen sowie Extensometern ausgestatteten Messquerschnitten) und die durchgeführten Rückwärtsanalysen ermöglichten eine schrittweise Erleichterung der Felssichrungmassnahmen und eine Anpassung der Ausbruchphasen.

Wie wirkten sich diese umfangreichen geologischen Untersuchungen aus?
P.H.: Die erzielten Einsparungen betrugen etwa das Sechsfache des Budgets, das der Bauherr für die Erkundungen und Ingenieurberechnungen bewilligt hatte. Auch die Ausbruchzeiten konnten beschleunigt werden, indem die Phasen der verschiedenen Etappen neu organisiert wurden, wodurch ein Spielraum entstand, um Verzögerungen an anderen Stellen aufzuholen.

Welchen weiteren Herausforderungen standen Sie gegenüber, insbesondere beim Rohbau der Hauptkavernen?
P.H.: Bei der Entwicklung des Ausführungsprojekts war BG für die Bemessung der Strukturen der Hauptkavernen verantwortlich und sah sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert: aussergewöhnliche Belastungen, sei es in den Decken oder in den Maschinenlagern, Decken mit grossen Öffnungen oder Betonieretappen mit grossen Volumen, die eine Modellierung der thermischen Entwicklung in Verbindung mit Baustellentests vor Ort erforderten.

BG musste seinen ganzen Einfallsreichtum einsetzen und eng mit dem Unternehmen (Groupement Marti-Implenia GMI) und dem Ausrüster (GE Hydro) zusammenarbeiten, um besondere Konzepte zu entwickeln, die den Steifigkeitstoleranzen und den Eigenfrequenzbedingungen gerecht werden: vorgespannte Trituben, Injektionen von Spiralrohren, dreidimensionale numerische Feinanalyse, Entwicklung von physikalischen Modellen oder auch 3D-Bewehrungspläne.

Aus Sicht der Bauausführung waren die Koordination zwischen den verschiedenen Beteiligten, der Platzmangel und die Logistik die grössten Herausforderungen auf dieser gigantischen Baustelle.

Wie sind Sie mit dem Zeitdruck umgegangen?
P.H.: Für den Bau des Maschinensaals waren ca. 53.000 m3 Beton, 98.000 m2 Schalungen und 6.200 t Bewehrungsstahl nötig – und das in weniger als 30 Monaten. Für den Bau der Wand-, Boden- und Deckenelemente wurde in der Regel selbstverdichtender Beton verwendet. Als Zuschlagstoff diente das während des Aushubs gewonnene Aushubmaterial, das in der Kiesgrube der Baustelle verwertet und zerkleinert wurde.

Diese Herausforderung konnte das Groupement GMI dank der täglichen Unterstützung des gesamten BG-Projektteams bewältigen, das fristgerecht über 1’300 Pläne und 2’000 Betonstahllisten lieferte – und das alles in 9-facher Ausführung! Es wurde ein spezielles Team gebildet, das aus 33 Mitarbeitenden der Büros in Lausanne und Sion bestand, aber auch unsere Kollegen in Aix-les-Bains sowie unsere Partner bei PRA Ingénieurs Conseils und Next Draw umfasste, um unsere Planproduktionskapazität zu steigern.

Und wie haben Sie die Bauleitung organisiert?
P.H.: Im Rahmen der Beteiligung an der Bauleitung war BG von Januar 2013 bis Dezember 2018 durchgehend auf der Baustelle in Châtelard vorhanden. Während dieser Zeit waren bis zu 5 Vollzeitmitarbeitende von BG am Werk, die ihr technisches, administratives und sprachliches Fachwissen einbrachten, um den reibungslosen Ablauf der Arbeiten in einem anspruchsvollen klimatischen Umfeld bei einem aussergewöhnlichen, internationalen und mehrsprachigen Projekt zu gewährleisten.

Unsere Experten und Expertinnen waren während der gesamten Dauer unseres Auftrags auch auf der Baustelle tätig, um den Bauherrn und die Unternehmen bei spezifischen Themen zu unterstützen, wie z. B. bei den Injektionen der Saugrohre und Spiralrohre oder bei der Überwachung der Befüllung der Triebwasserwege.

Ein Wort zum Abschluss?
P.H.: Dieses kühne und innovative Projekt im Dienste des Menschen und der Umwelt entspricht voll und ganz der DNA der BG-Gruppe.

 

 

Wir danken Nant de Drance AG sehr herzlich und sind stolz, unsere multidisziplinäre Expertise in ein Schlüsselprojekt für die Stabilität des europäischen Stromnetzes und die Energiewende eingebracht zu haben. Wir freuen uns heute schon auf die Fortsetzung unserer Zusammenarbeit in der Betriebsphase.

Die Nant de Drance AG wurde für die Verwaltung des Bauwerks gegründet. Vier Unternehmen sind an dieser neuen Einheit beteiligt: Alpiq mit 39%, SBB mit 36%, IWB mit 15% und FMV mit 10%. Weiterführende Informationen : www.nant-de-drance.ch

Die Artikel 2/3 (Lüftung und Rauchabzug) und 3/3 (Gebäudetechnik) werden in den nächsten Tagen auf unserer Website veröffentlicht. 

Identitätskarte einer aussergewöhnlichen Baustelle

Nach dem Bau von drei aufeinanderfolgenden Staudämmen (Barberine 1925, Vieux-Emosson 1955 und Emosson 1975) über einen Zeitraum von 50 Jahren stellt die Inbetriebnahme des Pumpspeicherkraftwerks Nant de Drance am 1. Juli 2022 die vierte und letzte Etappe eines für die Stabilisierung des schweizerischen und europäischen Stromnetzes wichtigen Glieds dar. Mit 900 MW und einer Produktion von rund 2,5 Milliarden Kilowattstunden Spitzenenergie pro Jahr (oder 2’500 GWh) ist die neue Anlage eine der leistungsstärksten in Europa. Sie wird eine zentrale Rolle bei der Sicherung der Stromversorgung in der Schweiz spielen.

14 Jahre Bauzeit (2008 – 2022)

Das vollständig unterirdische Pumpspeicherkraftwerk befindet sich an der französisch-schweizerischen Grenze im Massiv der Aiguilles Rouges de Chamonix, auf dem Gebiet der Gemeinde Finhaut (VS) auf halbem Weg zwischen Martigny (CH) und Chamonix (F). Es nutzt den Höhenunterschied zwischen zwei Stauseen, den Lac du Vieux Emosson und den Lac d’Emosson. Das Kraftwerk funktioniert wie folgt: Auf dem Hinweg wird das Wasser aus dem oberen See, das durch einen Staudamm zurückgehalten wird, in das unterirdisches Nant de Drance-Kraftwerk geleitet, bevor es in den unteren See getrieben wird. Auf dem Rückweg pumpt die Anlage das Wasser und befördert es in umgekehrter Richtung zurück in das obere Reservoir.

Der Bau des Pumpspeicherkraftwerks, eine Baustelle der Superlative in alpinem Umfeld, beeindruckt durch seine Kenndaten: 17 km gelegte Stollen, 1,7 Millionen m3 ausgehobener Fels, bis zu 400 Arbeitskräfte und rund 60 Unternehmen vor Ort und eine Investition von über 2 Milliarden Franken.

Die Hauptkaverne von Nant de Drance, die Maschinenkaverne, besitzt ein Aushubvolumen von 270 000 m3, ist 52 m hoch, 32 m breit und 200 m lang, und liegt 600 Meter unter der Erde. Damit ist sie eine der grössten in der Welt.

Die turbinierte Wassermenge beträgt 360 m3 pro Sekunde, also in etwa die Durchflussmenge der Rhône bei Genf im Sommer. Der Damm des oberen Reservoirs musste um 21,5 Meter erhöht werden, um 25 Millionen m3 Wasser zu stauen. Dies entspricht einer Energiespeicherkapazität von 20 Gigawattstunden (GWh) (oder: 20 Millionen kWh), was der Menge entspricht, die 400.000 Elektroautos in ihren Batterien speichern würden. Das Kraftwerk wird 900.000 Haushalte mit Strom versorgen.

Eine gigantische Batterie

Nant de Drance wurde so konzipiert, dass es die mit der unregelmässigen Produktion erneuerbarer Energien wie Windkraft und Photovoltaik verbundenen Schwankungen auszugleichen kann. Eine solche Flexibilität ist notwendig, um jederzeit ein Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch aufrechtzuerhalten. Nant de Drance fungiert als gigantische Batterie, die auch kurzfristig überschüssigen Strom aus dem Netz speichert oder notwendige Energie produziert, wenn die Nachfrage höher ist als die Produktion.

Ausgleich der Umweltauswirkungen einer Baustelle in grosser Höhe

Um die Umweltauswirkungen der Bauarbeiten für das Kraftwerk und die Höchstspannungsleitung, die das Kraftwerk mit dem Stromnetz verbindet, zu kompensieren, sollen 14 Projekte mit Gesamtkosten von 22 Millionen Franken durchgeführt werden. Die meisten Massnahmen zielen darauf ab, lokal spezifische Biotope, insbesondere Feuchtgebiete, wiederherzustellen. Dadurch sollen diese Orte von Tier- und Pflanzenarten wiederbesiedelt werden, die in der Schweiz selten vorkommen oder vom Aussterben bedroht sind.